Vom Schreiben und einer besonderen Freundschaft
So doch nicht! Das kannst du so nicht schreiben! Das versteht niemand! Das wird doch in der Luft zerrissen! Stimmt das überhaupt? Das ist viel zu dick aufgetragen! Das liest doch keiner! Und wenn das jemand lesen sollte, dann …
So oder so ähnlich - mal lauter und mal leiser - aber sobald sich einer dieser Gedanken während des Schreibens in unser Bewusstsein schummelt, ist es um uns geschehen. Eine uns sehr wohl bekannte Stimme aus dem Off sabotiert uns nach Herzenslust. Das Gedankenkarussell setzt sich in Bewegung und unser innerer Kritiker bekommt eine Freifahrt nach der anderen. Dabei ist es egal, ob es sich um einen Brieftext, eine Kurzgeschichte, einen Roman oder einen Fachartikel handelt. Ganz egal, denn wenn wir schreiben, geraten wir in Zwiegespräche mit uns selbst. Jeder. Ausnahmslos!
Nun sind Selbstgespräche grundsätzlich nichts Schlechtes, aber zur falschen Zeit und von der falschen Stimme initiiert, äußerst störend. Statt Schreibflow folgt Schreibstau! In einem Artikel habe ich mal gelesen, dass Forscher davon ausgehen, dass unsere innere Stimme etwa zehnmal so schnell spricht wie unsere äußere. Das läge unter anderem daran, dass unsere innere Stimme stark verdichtet zu uns spricht. Das heißt, nur ein einziges Wort von ihr und wir erkennen schon den ganzen Satz, und vor allem dessen Inhalt und Bedeutung. Bei dem Sprechtempo bekommen wir unsere innere Stimme nicht in den Griff. Je mehr wir uns aber beim Schreiben von ihr beeinflussen und ablenken lassen, desto stärker werden unsere Selbstzweifel - unsere Textzweifel - und letztendlich begraben wir unser Schreibprojekt für diesen Tag, die Woche, den Monat, das Jahr oder vielleicht für immer. Schade um den Text, der damit verloren geht und der vielleicht viel Gutes hätte bewirken können. Er hätte inspirieren oder Klarheit bringen können. Auch das bloße Ignorieren führt nicht zum Erfolg, denn die Stimme wird immer penetranter, immer lauter und immer nerviger!
Eine Lösung muss her! Und wie das mit Lösungen meistens so ist, es ist ein Kompromiss! Solange ich mich in meinem Schreibprozess befinde, möchte ich nicht gestört werden. Nicht vom Telefon, vom Postboten an der Haustür, von niemandem und sind wir ehrlich, schon gar nicht von mir selbst. Es wird also Zeit für eine Vertagung, wie in einer guten Freundschaft: "Du, entschuldige bitte, ich habe gerade keine Zeit. Ich rufe Dich später zurück!"
Warum das funktioniert? Während des Schreibprozesses geht es darum, ungestört, flüssig und frei von Wertung zu schreiben und alles aufs Papier oder den Bildschirm zu bringen, was raus will. Danach kommt die Phase des Selbstlektorats. Die Prüfung meines Textes. Und jetzt ist nicht nur rein handwerklich der Duden für die adäquate Orthografie gefragt, sondern jetzt kommt der innere Kritiker ins Spiel - wenn der ganze Text dasteht. Aus einem "Hau ab Du nervst!" wird schnell ein respektvolles, freundschaftliches und vertrauensvolles "Was meinst Du? Hast Du noch eine Idee?" Das ist dann der Moment, in dem Textreife entstehen kann, neue Ideen hinzugefügt, Passagen verworfen oder hervorgehoben werden, denn die Basis ist eine andere: Der innere Kritiker ist zum Freund geworden!
Mein Tipp: Vergiss nicht, zurückzurufen!
Deine Birke